Ich habe von Svenja den Raum und die Möglichkeit bekommen euch einen Teil meiner Geschichte zu erzählen. Meine Geschichte ist lang, meine Geschichte beginnt mit meiner Geburt und zieht sich durch mein gesamtes Leben. Sie hat mich geprägt, sie hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin und manchmal bremst sie mich immer noch völlig aus.
Eine sehr, sehr gute Freundin und sehr gute Diplom-Psychologin hat einmal zu mir- in einem anderen Zusammenhang- gesagt: an Gewalt gewöhnt man sich.
Und genau so ist: Die Gesellschaft ist an eine gewisse Form der Gewalt gewöhnt. Sie wird akzeptiert. Egal ob es Kinder und Jugendliche betrifft, egal ob es zu Hause, auf dem Spielplatz, in der Schule stattfindet oder ob es Erwachsene sind.
Oft wird die brutalste Form der Gewalt verabscheut: Eine Frau, die körperlich misshandelt wird, Kinder, die sexuell missbraucht werden oder ähnliches. Bei dem berühmten Klaps auf die Finger oder den Po eines Kindes gehen die Meinungen schon auseinander. (Um es hier aber deutlich zu sagen: dieser „Klaps“ ist verboten! Er ist und bleibt Gewalt! Es gibt KEINEN Grund, der ihn rechtfertigt oder entschuldigt!).
Das sind unbestritten furchtbare Taten und diese gehören verabscheut. Ich möchte das nicht schmälern. Ich möchte aufmerksam machen, dass Gewalt so viel früher beginnt, so viel subtiler sein kann und wir uns daran niemals gewöhnen sollten.
Ich bin ein Kind schwerster emotionaler Vernachlässigung mit schwerster psychischer Gewalt- von Geburt an.
Ich bin heute 38 Jahre alt, habe eine kleine Familie mit Mann, Kind und Hund, bin schwerst übergewichtig, hochsensibel und habe seit Ende 2020 eine schwere Depression.
Ich wurde 1984 als zweites Kind meiner Eltern geboren. Mein Bruder wurde, seit ich mich erinnern kann, als das perfekte Kind in den Himmel gelobt. Er war ruhig, konnte sich schon immer gut allein beschäftigen, schlief als Säugling schnell durch, mochte keinen Schmutz, war sehr ordentlich und noch vieles mehr – das perfekte Kind eben.
Ich hingegen schlief nicht durch, nachdem meine Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wurde, und schreien konnte man mich ja auch nicht lassen, weil mein Bruder sonst nicht schlafen konnte. Ich brauchte viel zu viel Aufmerksamkeit und Nähe, ich war ein Sturkopf. Zitat meiner Mutter: „Ihr kann man die Finger rot hauen, sie hört dennoch nicht auf.“ Ich war zu dem Zeitpunkt noch keine zwei Jahre alt. Kurz gesagt: Ich war durchweg anstrengend und lästig. Alles, was ich tat, auch als Säugling und Kleinkind, tat ich mit purer Absicht, um meiner Mutter das Leben schwer zu machen.
Natürlich kann ich mich nicht an die ersten Jahre meines Lebens erinnern. Das weiß ich von späteren Erzählungen. Denn die Geschichten, die zeigten, wie anstrengend ich schon immer war, wurden natürlich immer wieder und jedem in unserem Umfeld erzählt. Dann wurde gemeinsam gelacht und das kleine Mädchen, was sich mit 3 Jahren schon überflüssig fühlte und versuchte so wenig, wie möglich aufzufallen, was natürlich nicht so gelang, lies man in der Ecke stehen und tat es als „zu empfindlich“ ab.
Ich wurde mit meinem Schlafsack im Bett angebunden, wenn ich nicht einschlafen konnte und zu oft im Babybett aufstand. Und obwohl ich schrie und unruhig war, wurde nicht nach mir gesehen. Am kommenden Tag sah meine Mutter, dass sie eine Stechmücke in meiner Windel eingeschlossen hatte und ich total zerstochen war.
Lieblingssätze meiner Mutter waren: „Weil ich das sage.“, „Darum.“, „Wenn du nicht aufhörst zu heulen, gebe ich dir gleich einen Grund dazu.“ Oder auch so Sätze wie „Ich verkaufe dich auf dem Wochenmarkt. Aber dich wird niemand wollen, auch wenn ich Geld drauflege.“ Oder „Ich verkaufe dich auf dem Wochenmarkt, aber nach spätestens 2 Tagen bringt dich eh jeder wieder zurück, weil dich keiner will.“
Ich war ein Unfall. Hätte meine Mutter mich als erstes Kind bekommen, wäre ich ein Einzelkind geblieben.
Mit etwa 6 Jahren sprangen alle Kinder auf einem kleinen Spielplatz von einer kleinen Rutsche. Ich natürlich auch. Ich verknickte beim Aufkommen allerdings meinen Knöchel. Jeder weiß oder kann sich vorstellen, wie schmerzhaft so etwas ist. Ich war etwa 6 Jahre alt und humpelte, auf mein Fahrrad gestützt allein nach Hause, wo mir gesagt wurde „das kann so schlimm ja gar nicht sein.“.
Behandlungen bei Ärzten machten mir unendliche Angst. Anstatt mir diese zu nehmen, war es die Strategie meiner Mutter schon bei Terminvereinbarungen mehr „Personal“ zu wünschen, um mich mit mehreren Personen einfach festhalten zu können. So wurde ich von mehren Menschen festgehalten, mir wurden die Augen zugehalten und es wurde gemacht, was gemacht werden sollte: Blutabgenommen, Gliedmaßen trotz Schmerzen in alle Richtungen gebogen usw.
Noch in den ersten 7 Jahren entdeckte meine Mutter einen neuen Weg „einfach“ Geld zu verdienen: als Tagesmutter. Mitte, Ende der 80er war das noch neu und bezog sich mehr auf Kinder, die noch zu jung für den Kindergarten waren oder auf Kinder nach der Schule, deren Eltern arbeiten waren.
Zwar stellte meine Mutter die Bedürfnisse der Tageskinder über unsere, dennoch waren die Kinder genauso der Gewalt und Willkür dieser Frau ausgesetzt, wie wir. Das erschreckende: meine Mutter lies sich später vom Jugendamt „zertifizieren“, arbeitete mit dem Kinderschutz zusammen und erwähnte zum Beispiel den berühmten Klaps sogar beim Erstgespräch mit den Eltern – aber immerhin, so betonte sie immer, schlug sie nicht auf den Kopf, der sei tabu.
All das und es ist so viel mehr passiert, was zu erzählen hier sämtlichen Rahmen sprengen würde, bezieht sich auf meine ersten 8 Lebensjahre.
Danach wurde es einfach nur schlimmer.
Wir hatten zwei wunderbare Tagespflegkinder. Die jüngste gerade etwa 2 Jahre alt, die ältere ca. 4.
Auch sie wurden von der Gewalt meiner Mutter nicht verschont. Mein Bruder und ich taten so viel wir konnten, um diese Kinder zu schützen – im Alltag, aber es gelang uns nicht.
Als die Jüngere am Trocken werden war, ging es meiner Mutter nicht schnell genug. Als wieder einmal die Hose nass war, nahm sie dieses kleine Kind und warf – wirklich warf – es in den Flur.
Neben der täglichen, psychischen Gewalt uns Kindern gegenüber, kamen die „Psychospielchen“. Funktionierte ich nicht so, wie meine Mutter es wollte, und das konnte am einen Tag so und am nächsten Tag ganz anders sein, bekam ich Dinge gestrichen, die mir zum einen extrem wichtig waren, zum anderen ich auch in der Verantwortung anderen gegenüber stand. Ich hatte das Reiten für mich entdeckt und da wir nicht das Geld dazu hatten, all das zu finanzieren, hatte ich mir sehr, sehr vieles erarbeitet.
Mit etwa 13 Jahren war ich so weit, dass ich bei einer zu der Zeit sehr angesehenen und erfolgreichen Dressurreiterin reiten konnte. Dafür hatte ich aber verlässliche Verpflichtungen ihr und den Pferden gegenüber.
Natürlich wurde mir genau DAS dann gestrichen. Wir reden hier nicht davon, dass ich wirklich danebenbenommen hätte und eine solche Strafe gerechtfertigt gewesen wäre. Ich bin nur der Willkür meiner Mutter nicht hinterhergekommen. Wenn an einem Tag erwartet wurde, dass ich koche und am anderen Tag wollte sie selbst kochen, wurde ich an beiden Tagen bestraft, weil ich am ersten nicht gekocht hatte, aber am zweiten, an dem sie kochen wollte.
Mit 13 begann ich mich selbst zu verletzen. Meine Mutter hatte auf ihrer neuen Arbeit (sie machte eine Ausbildung als Altenpflegerin und das nicht aus Liebe zu den Menschen, sondern um neue Opfer zu haben) eine Arbeitskollegin, die sich selbstverletze und der sie so viel Aufmerksamkeit schenkte, dass ich dachte, ich bekomme dadurch auch endlich die Aufmerksamkeit und Liebe, nach der ich mich sehnte. Natürlich bekam ich sie nicht. Stattdessen geriet ich in einen Sog, in dem sich die Selbstverletzung so gut anfühlte und sie viele Jahre Teil meines Lebens bleiben sollte.
Mein Bruder wurde gewalttätig mir gegenüber (auf das warum möchte ich hier nicht näher eingehen). Meine Mutter bekam das mit. Einmal sogar unmittelbar und als ich am Boden lag stand sie über mir und sagte: „Das geschieht dir Recht.“
Die Jahre vergingen und waren weiterhin geprägt von Willkür und psychischer Gewalt. Mit 17 Jahren lies ich mich selbst in eine Psycho-Somatische Klinik einweisen, weil ich davon überzeugt war, dass ich ein widerlich kranker Mensch sei.
In der Klinik lernte ich, dass das so gar nicht stimmte. Aber den Ursprung erkannte ich noch nicht.
Als ich wieder nach Hause kam, hatten sich meine Eltern getrennt, mein Vater war nicht mehr da. Meine Mutter sagte mir, dass er nichts mehr mit uns zu tun haben wolle.
Auf einmal verhielt sich meine Mutter, wie die beste Freundin und es war widerlich Wenn sie auf Dates war, schickte sie mir SMS, dass ich sie anrufen und „retten“ solle. Sie räumte mein Sparbuch leer und von der freundschaftlichen Art ging es ungebremst zurück in die Kontrolle und Erniedrigung.
Kurz, nachdem mein Vater ausgezogen war, versprach sie mir einen Hund. Mein Vater, selbst Diensthundeführer, wollte nie einen Hund zu Hause. Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich hatte meinen Hund in der Kleinanzeigen Rubrik der Zeitung gefunden und war bereits einmal dort zum Kennenlernen. Am Tag, als ich ihn abholen wollte, sagte sie „Nein!“. Für mich brach eine Welt zusammen. Aber ich setzte mich durch.
Ich stand da also, mit 17, einer wirklich üblen Mutter und einem Welpen, für den ich ganz allein verantwortlich war.
Ich sehnte mich so nach jemanden, der mich liebte und nahm wirklich alles, was ich kriegen konnte – egal ob es gut war oder nicht – und meine Mutter ließ mich gewähren.
Und so kam es, dass ich jemanden rund 500 Kilometer entfernt kennenlernte. Nachdem ich ihn in den Ferien besucht hatte, kam ich zurück und meine Mutter turnte mit ihrem neuen Lebenspartner, schlimmer als Teenager durch unsere Wohnung. Ich konnte das nicht aushalten. Ich entschied in der Nacht mit diesem jungen Mann, den ich kennengelernt hatte, 500 Kilometer weit weg zu ziehen. Ich packte, was ins Auto passte, meine Mutter drückte mir 500 Mark in die Hand und ich war weg. Von jetzt auf gleich. Mit 17. Weg.
Ca. ein ¾ Jahr lebte ich dort, bevor ich merkte, wie unglücklich ich in dieser Stadt war. Mein Freund und ich beschlossen, zu meiner Mutter und ihrem Freund zu ziehen. Meine Mutter hatte mittlerweile meine Heimatstadt verlassen und war zu ihrem Lebensgefährten gezogen. Unser Verhältnis, so dachte ich, hatte sich verbessert, so dass es ein gutes Gefühl war, zurückzugehen.
Aber es kam alles anders. Mein Freund erfüllte nicht die Erwartungen von meiner Mutter, sie warf uns raus, wir kamen bei einer sehr flüchtigen Bekannten unter, was ebenso psychischen Terror mit sich brachte.
Wir landeten auf der Straße, ich bettelte – wortwörtlich – auf den Knien, nach Hause zu dürfen. Ich durfte, mein Freund nicht. Die Beziehung, die sicher keine gesunde war, zerbrach, er ging zurück und ich blieb in diesem Haus voll psychischer Gewalt.
Aber da war mein Hund. Mein Segen. Mein Leben. Ich machte weiterhin die Schule, ging aufs Gymnasium, kümmerte mich um meinen Hund, ging an einer Tankstelle arbeiten – denn für Hundefutter und alles musste ich selbst aufkommen – und versuchte die Erwartungen meiner Mutter zu erfüllen. Ich putzte allein das gesamte Haus, ich kochte, wusch die Wäsche, machte den Abwasch… eigentlich machte ich alles.
Aber nicht immer zu vollen Zufriedenheit. Hatte ich meine Mutter durch irgendetwas verärgert – meist wusste ich noch nicht einmal durch was, das konnte zum Beispiel auch sein, dass ich nachts zu laut auf Toilette bin oder mir was zu Trinken geholt hatte oder ähnliches – wurde frisch gekochter Kaffee weg geschüttet und neuer gekocht, wurde Essen verschimmeln lassen, nur weil ich es gemacht hatte. Es gab immer irgendeinen Grund, warum man mich demütigen konnte.
Lernte ich einen jungen Mann kennen, bekam ich zu hören: Ich zeige dir, wie sehr er dich liebt. DEN bekomme ich auch ins Bett. Ich fand mich doch selbst nicht liebenswert: Ich war dick, hässlich und wertlos, ein richtiger Nichtsnutz und dann wollte sie mir auch noch den Menschen nehmen, der zumindest vorgab, mich zu mögen.
Mittlerweile fand auch der Lebensgefährte meiner Mutter Spaß daran, mich zu drangsalieren und spielte ähnliche Spiele, wie meine Mutter. Am schlimmsten war die Drohung, dass wenn ich irgendwann von der Schule nach Hause komme, der Hund weg ist. Deutschland sei groß. Und dann ging sie über Stunden mit ihm weg – wo sie sich nie für ihn interessiert, hat…
Ich habe weiter oben die Situation mit meinem Bruder erwähnt, als ich am Boden lag. In einem Gespräch mit meiner Mutter sprach ich sie darauf an, in der Hoffnung, sie würde bereuen, was sie damals gesagt hatte. Aber sie bestärkte ihre Aussage von damals und betonte, dass es mir Recht geschehen sei.
Ich versuchte wirklich ALLES, ALLES, was man sich denken kann, um meine Mutter zufrieden zu stellen. Aber es gelang mir nie. Ich war nie gut genug.
Meine Mutter steckte währenddessen in der Scheidung mit meinem Vater und sie wollte ihn so richtig fertig machen. Er sei Alkoholiker, aggressiv, zu allem fähig, würde schwarz arbeiten und ich sollte all das, obwohl es schlicht und ergreifend gelogen war, vor Gericht so aussagen.
Ich wurde über Tage bearbeitet, mir wurde erklärt, wie wichtig das sei und was mein Vater ihr alles angetan hätte, dass er Berge an Schulden hinterlassen hätte und noch so vieles mehr. Aber all das stimmte nun mal nicht. Zusätzlich fand ich eine Auflistung für den Anwalt, welche Kosten ich auf Grund meines Übergewichts verursachen würde. Laut dieser benötigte ich: ein Spezialbett, Spezialnahrung, spezielle Schuhe und einiges mehr. Auch davon traf nichts zu. Gar nichts. Meine Mutter erklärte mir, dass das notwendig sei, dass sie keinen Unterhalt an meinen Vater zahlen müsse.
Ich wurde auf so viele Arten und Weisen benutzt und gedemütigt.
Und dann kam, was kommen musste: Nachdem meine Mutter mich 4 Wochen vor meinem Abitur aus dem Haus warf, weil sie den Platz für Besuch brauchte, fuhr ich 280 Kilometer zu meinem Vater und meinem Bruder, die zu dem Zeitpunkt beide in einem Zustand waren, den ich so nicht miterleben wollte.
Als ich nach 2 Wochen zurück kam und noch 2 Wochen bis zum Abitur hatte, konnte ich nicht mehr. Ich hatte Angst das Haus zu betreten, ich hatte Angst, auf Toilette zu gehen, ich hatte Angst mir etwas zu trinken zu holen, ich hatte Angst zu atmen.
Mein Zimmer war ausgeräumt, der Inhalt in Umzugskisten gepackt, die Schränke leer…. Ich legte mich aufs Bett und sah keinen Ausweg. Ich stand auf und wollte zum nahegelegenen Bahnhof gehen. Dort gab es einen Fußgängerübergang hoch über den Gleisen. Dort fuhren die ICEs in hoher Geschwindigkeit durch. Dort, dort wollte ich das beenden. Ich war überzeugt, ich sei der schlechteste, widerlichste, nichtsnützigste Mensch auf der gesamten Welt. So jemanden wie mich, brauchte niemand. Ich war eine Belastung für jeden und würde es immer sein.
Und als ich aufstand, sah ich die Augen von meinem Hund und ich wusste, was sie mit ihm machen würde. Und das Einzige, was mir noch wichtig war, dass dieses herzensgute Tier es nicht verdient hatte zu ihrem Opfer zu werden und ich ihn hier nicht zurücklassen konnte.
Somit lag ich wach, bis zum nächsten Morgen. Wartet auf meine Mutter in der Küche. Hatte gepackt, was ich tragen konnte- am meisten Hundefutter und bettelte sie um 27 € an und ich würde für immer gehen, sie nie wieder belasten.
Ich bekam den Zorn meines Lebens zu spüren. Alle Register wurden gezogen. Ich hielt dem Stand- innerlich zerbrochen, aber nach außen wie ein Fels. Ich bekam diese 27 € mit so einer Wut auf den Tisch geklatscht, dazu wurde mir alles erdenklich Schlechte gewünscht, was man sich vorstellen kann.
Und während ich, bepackt mit allem, was ich tragen konnte und dem Hund im Schlepptau mich aufmachte in eine absolut ungewisse Zukunft, bedrohte meine Mutter eine meiner Schulfreundinnen.
Erst wurde sie gebeten, zu sagen, wo ich sei, und ich solle mit dem Mist aufhören, man würde heute Abend auch mein Lieblingsessen kochen und dann wurde gedroht. Meine Freundin wusste, wo ich war und sie wusste, wo es hinging- zu meinem Vater und meinem Bruder.
Das konnte sich irgendwann auch meine Mutter denken und begann auch hier alle Register zu ziehen. Meinem Vater wurden unzählige SMS geschrieben, was ich ihr alles angetan hätte und zu guter letzt, dass ich gar nicht seine Tochter sei.
Mein Bruder wurde nach Jahren von meiner Tante, der Schwester meiner Mutter, angerufen, die sich bisher immer alle Seiten angehört hatte, und eindringlich davor gewarnt, mich bei ihm wohnen zu lassen.
Das war im April 2004. Seitdem habe ich sämtlichen Kontakt abgebrochen.
Trotz Kontaktabbruch war das alles aber nicht vorbei. Meine Mutter versuchte über sämtliche Wege mir das Leben schwer zu machen und lies mich über alte Bekannte kontaktieren. Ruhe hatte ich ganz lange nicht. Es hagelten immer und immer wieder Vorwürfe auf mich ein: wie ich nur ein solches Verhalten meiner Mutter antun könne. Immerhin sei sie meine Mutter.
Trotz allem habe ich 2004 mein Abitur gemacht. Ich habe darum gekämpft, obwohl ich es auf Grund des Bundeslandwechsels nicht hätte machen dürfen.
Ich habe im September 2004 meine erste eigene Wohnung bezogen. Ich habe nach langer, langer Suche 2007 meine Ausbildung zur Bankkauffrau begonnen und diese nach 2 ½ Jahren bei der Frankfurt School of Finance and Management abgeschlossen.
Eigentlich hätte ich gerne im Tierbereich eine Ausbildung gemacht. Die Suche blieb leider erfolglos. Als nächstes hätte ich gerne Jura studiert. Ich hatte mich auch eingeschrieben und war zugelassen. Hatte dann aber kein Geld für die Semestergebühren und musste somit auf das Studium verzichten. Ich wäre gerne Staatsanwalt geworden.
Ich habe über 4 Jahre als Bankkauffrau in allen Bereichen gearbeitet und habe mich auf Grund der unmenschlichen Vorgehensweisen mit der Elternzeit entschieden nicht mehr zurückzukehren. Seit Beginn meiner Ausbildung war ich im Betriebsrat tätig. Eine Arbeit, die mir extrem wichtig war, weil Gerechtigkeit für mich ein sehr hohes Gut ist und ich mich immer wieder für andere einsetzen würde und werde.
2008 kam ich mit meinem jetzigen Mann zusammen, der mich durch viele Höhen und extreme Tiefen begleitete, 2012 heirateten wir und 2014 kam unser Sohn zur Welt.
Die Geburt war eines der schlimmsten Erlebnisse in meinem Leben. Die Hebamme ähnlich wie meine Mutter. Nach dem sekundären Kaiserschnitt sagte sie mir, ich solle besser keine Kinder mehr bekommen. Jemanden wie mich, könne man niemanden zumuten.
2012 musste ich mich von meinem Herzenshund für immer verabschieden. Der Verlust schmerzt immer noch sehr.
Wer sich bei all dem fragt, wo mein Vater war und warum er nichts tat, möchte ich Folgendes antworten: Mein Vater tat alles, um seine Familie zu ernähren. Als ich auf die Welt kam, arbeitet er fast täglich 16 Stunden als Dachdecker. Später wechselte er als Diensthundeführer und -ausbilder zur Bundeswehr, noch viel später zur Bundespolizei mit Schichtdienst und 24 Stunden Diensten.
Zusätzlich darf man nicht vergessen, dass es zu der Zeit, als ich klein war noch Gang und Gebe war, dass der Mutter die Kinder zugesprochen wurden, wenn sich Eltern trennten. Als Vater das Sorgerecht zu bekommen war sehr schwierig, fast unmöglich. Und genau damit drohte meine Mutter ihm immer und immer wieder: sie geht und nimmt die Kinder mit, er würde sie nie wieder sehen.
Er versuchte alles, um uns und auch die Tagespflegekinder zu schützen.
Was ist mein Fazit? Was ist meine Botschaft?
Psychische Gewalt ist mindestens genauso schlimm, wie physische Gewalt. Sie hinterlässt dauerhafte Spuren – bei mir: Depressionen, Selbstzweifel, Schlafstörungen, Anpassungsstörung, massive Verlustangst, Klaustrophobie, Selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken und einiges mehr.
Ich werde nie „frei“ sein. Ich werde immer an mir zweifeln. Ich werde diese Schatten immer um mich haben.
Als mein Mann und ich über Kinder nachdachten, wollte ich immer 3. Unser Sohn wird sehr wahrscheinlich ein Einzelkind bleiben. Warum? Weil ich panische Angst davor habe, dass sich meine Geschichte wiederholt, dass ich das zweite Kind nicht so lieben kann, wie das erste, dass ich ungerecht sein werde, dass ich das zweite Kind genauso behandeln werde, wie ich behandelt wurde.
Wenn es um familiäre Gewalt und Gewalt an Kindern geht, geht es sehr häufig darum, dass die Männer, die Väter gewalttätig sind. Immer noch haben Frauen und Mütter diesen automatischen Ruf immer liebevoll und fürsorglich zu sein, ein Kind automatisch immer bedingungslos zu lieben, was ihnen automatisch höhere „Rechte“ zukommen lässt: egal was sie tun oder getan haben, es gibt nichts, was es rechtfertigt den Kontakt abzubrechen oder ihnen das Enkelkind vorzuenthalten.
Das muss aufhören. Mütter sind nicht automatisch „gut“, liebevoll und fürsorglich. Sie missbrauchen, sie sind gewalttätig, sie töten…. Meist aber auf andere Art und Weise, wie es Männer tun.
Bitte lasst uns aufhören Mütter als pauschal „gut“ zu sehen. Bitte lasst uns genau hinschauen!
Psychische Gewalt, vor allem an Kindern, muss einen viel höheren Stellenwert bekommen. Es muss aufhören, dass Gewalt gesellschaftstauglich ist und so oft verharmlost wird. Kinder haben ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Dieses Recht können sie nur bekommen, wenn wir uns alle bewusst machen, wann Gewalt wirklich beginnt und das ist so viel früher als bei blauen Flecken!
Wir brauchen Menschen, die sich die Zeit nehmen können, Strukturen von toxischem Verhalten, egal ob bei Müttern, Vätern oder Mitarbeitern, zu durchschauen, die entsprechend geschult sind und die präsent sind. Menschen, wie meine Mutter, sind hoch manipulativ und können nichts besser, als andere täuschen.
Gerade da ist die Politik gefragt. Wir müssen weg von „Geiz ist geil“ und wo können wir am meisten sparen. Wir brauchen mehr Menschen für Menschen – egal ob jung oder alt.
Diese subtile, gesellschaftsfähige Gewalt, mit der so vieles beginnt, begegnet uns überall: im Kindergarten, wenn Kinder auf den stillen Stuhl müssen oder zum Schlafen oder Essen gezwungen werden, in der Altenpflege, wenn Menschen und ihre Bedürfnisse ignoriert werden, auf der Straße, in der Nachbarschaft…
Schaut nicht weg!
Und was macht meine Mutter heute?
Sie arbeitet weiterhin in der Altenpflege und hat sich so weit fortgebildet, dass sie die totale Kontrolle hat. Im Zweifelsfall ist sie diejenige, die den Stecker ziehen darf…
Und was mache ich heute?
Ich kämpfe gegen meine Schatten, fühle mich weiterhin wertlos und nutzlos und brauche Hilfe, wenn ich nicht weiß, ob ich zum Arzt soll oder nicht. Ich kann doch einem Arzt nicht seine wichtige Zeit stehlen für meine unwichtigen Belange…
Ich liebe meinen Sohn und setze mich, wann immer es geht für eine Elternschaft auf Augenhöhe ohne Gewalt ein.
Ich habe einen großartigen Job und einen Hund, der mit seinen 5 Monaten alles auf den Kopf stellt. Ich bin seit 10 Jahren verheiratet. Ich weine viel… eigentlich immer dann, wenn jemand menschlich und verständnisvoll mit mir umgeht… denn das ist nach 38 Jahren noch immer keine Selbstverständlichkeit für mich und es wird es vermutlich auch niemals sein….