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Warum Reden allein nicht reicht – Wie dein Körper nach toxischen Beziehungen wieder Sicherheit lernen kann

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Ein Expertenartikel von Katharina Samoylova, Psychologin und Mentorin für Frauen nach toxischen Beziehungen

Vielleicht kennst du dieses Gefühl: Du stehst morgens vor dem Spiegel und fragst dich: Wer bin ich eigentlich? Die Trennung liegt hinter dir. Du hast es endlich geschafft, dich zu befreien. Aber statt Erleichterung spürst du vor allem eines: Leere.

Deine Kleidung fühlt sich fremd an. Deine Entscheidungen – von der Wandfarbe bis zur Wahl deiner Freizeitaktivitäten – wirken, als hätte sie jemand anderes getroffen. Du bist erschöpft, obwohl du genug schläfst. Du bist unruhig, obwohl äußerlich alles ruhig ist. Nachts wachst du auf, das Herz rast, der Körper angespannt – und du weißt nicht einmal warum.

Vielleicht dachtest du: Jetzt, wo ich weg bin, müsste es doch besser werden. Aber es wird nicht besser. Nicht so schnell. Nicht von allein.
Das, was du gerade durchlebst, ist die Reaktion deines Nervensystems auf Monate oder Jahre in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft. Dein Körper hat gelernt, dass Gefahr droht – selbst wenn sie längst vorbei ist.

Was dein Körper nach einer toxischen Beziehung durchmacht
Nach einer toxischen Beziehung fühlen sich viele Betroffene wie in einem Nebel gefangen. Die Symptome sind vielfältig:

• Du fühlst dich innerlich unruhig, getrieben, als könntest du nie wirklich entspannen
• Oder das Gegenteil: eine tiefe innere Leere, als wärst du von dir selbst abgeschnitten
• Schlafprobleme – entweder kannst du nicht einschlafen oder wachst nachts immer wieder auf
• Energiemangel trotz Ruhe – du bist ständig erschöpft
• Trennungsschmerz, der sich körperlich anfühlt wie ein Entzug
• Dazu kann eine Reihe körperlicher Beschwerden kommen: Verspannungen im Nacken und Schulterbereich, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen

Diese Symptome sind keine Einbildung. Sie sind die Folge davon, dass dein autonomes Nervensystem (ANS) aus dem Gleichgewicht geraten ist.


Was ist das autonome Nervensystem?
Das autonome Nervensystem ist der Teil deines Nervensystems, der automatisch lebenswichtige Funktionen steuert: deinen Herzschlag, deine Atmung, deine Verdauung, deine Stressreaktionen. Es heißt "autonom", weil du es nicht bewusst kontrollieren kannst – genauso wenig, wie du bewusst deinen Herzschlag beschleunigen oder verlangsamen kannst.
Das ANS besteht aus zwei Hauptteilen, die wie Gegenspieler funktionieren:

Der Sympathikus ist zuständig für Aktivierung und Alarm. Wenn du in Gefahr bist, schaltet er dich auf "Kampf oder Flucht". Dein Herz schlägt schneller, deine Atmung wird flacher, deine Muskeln spannen sich an. Du bist hellwach, angespannt, bereit zu reagieren.
Der Parasympathikus (mit seinem wichtigsten Nerv, dem Vagusnerv) ist zuständig für Ruhe, Regeneration und Verdauung. Er bringt dich wieder runter, wenn die Gefahr vorbei ist.

Der Vagusnerv – dein innerer Sicherheitsanker
Der Neurowissenschaftler Stephen Porges hat in seiner Polyvagal-Theorie gezeigt, dass der Vagusnerv aus zwei verschiedenen Ästen besteht, die unterschiedliche Aufgaben haben:
Der ventrale Vagusnerv (der vordere Ast) ist aktiv, wenn du dich sicher fühlst. Er ermöglicht soziale Verbindung, Ruhe, Präsenz. Wenn dieser Teil deines Nervensystems aktiv ist, kannst du dich entspannen, offen sein, dich auf andere einlassen.
Der dorsale Vagusnerv (der hintere Ast) springt bei extremer Überforderung an – wenn Kampf oder Flucht nicht mehr möglich sind. Er sorgt für Erstarrung, Shutdown, innere Leere. Du fühlst dich wie abgeschnitten, taub, neben dir stehend.


Was hat das mit toxischen Beziehungen zu tun?
In einer toxischen Beziehung ist dein Nervensystem über Monate oder Jahre in ständiger Alarmbereitschaft. Du musst permanent aufpassen: Wie ist seine Stimmung? Was habe ich falsch gemacht? Wie kann ich den nächsten Konflikt vermeiden?
Dein Sympathikus läuft auf Hochtouren. Wenn das zu lange dauert und du keine Möglichkeit hast, dich wirklich zu schützen, schaltet irgendwann der dorsale Vagus ein – du erstarrst innerlich, funktionierst nur noch, fühlst dich leer.
Und selbst nach der Trennung bleibt dein Nervensystem in diesem Modus hängen.
Dein Körper hat nicht verstanden, dass die Gefahr vorbei ist. Er wartet darauf, dass der nächste Angriff kommt. Deshalb die innere Unruhe. Deshalb die Schlafprobleme. Deshalb die Erschöpfung.

Warum Gesprächstherapie allein manchmal nicht ausreicht

Ich war selbst in einer toxischen Beziehung. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nicht mehr weiß, wer man ist. Wenn man glaubt, schuld zu sein. Wenn man denkt: Wenn ich nur anders gewesen wäre, hätte es funktioniert.
Nach der Trennung habe ich mir Hilfe geholt – natürlich. Ich bin Psychologin, ich weiß, wie wichtig das ist. Ich ging in Gesprächstherapie. Ich sprach über die Beziehung, über meine Kindheit, über meine Muster. Ich verstand intellektuell, was passiert war. Ich konnte es benennen, analysieren, einordnen.
Aber ich fühlte mich nicht besser.
Ich verstand, warum ich so reagierte – aber ich konnte es nicht ändern. Mein Körper war immer noch in Alarmbereitschaft. Mein Herz raste bei Kleinigkeiten. Ich wachte nachts auf, schweißgebadet. Die innere Unruhe blieb.


Und genau das ist der Punkt: Verstehen allein reicht nicht.
Gesprächstherapie ist wertvoll. Sie hilft dir, Muster zu erkennen. Sie gibt dir Worte für das, was du erlebt hast. Aber wenn dein Nervensystem in ständiger Alarmbereitschaft ist, braucht es mehr als Worte. Es braucht körperliche Erfahrungen, die ihm signalisieren: Du bist jetzt sicher.

Mein Weg zu EFT – und warum es anders war
Ich machte mich auf die Suche. Ich las Bücher über Trauma, über das Nervensystem, über körperorientierte Therapie. Ich machte Ausbildungen. Und dann stieß ich auf EFT – Emotional Freedom Techniques, auch Klopftechnik genannt.

Anfangs war ich skeptisch. Das klang zu einfach: Man klopft mit den Fingerspitzen auf bestimmte Akupressurpunkte am Körper, während man sich auf belastende Gefühle oder Gedanken konzentriert. Das soll helfen?
Aber ich probierte es aus. Und zum ersten Mal seit Monaten spürte ich: Mein Körper kam runter.
Die innere Unruhe ließ nach. Mein Atem wurde ruhiger. Ich fühlte mich nicht mehr so getrieben, nicht mehr so angespannt. Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.


Wie EFT wirkt
EFT kombiniert drei Elemente:
1. Exposition – du konzentrierst dich auf das belastende Gefühl oder die Erinnerung
2. Kognitive Umstrukturierung – du benennst das Problem und akzeptierst dich trotzdem
3. Akupressur – du klopfst auf bestimmte Punkte am Körper

Das Ziel: Den ventralen Vagusnerv zu aktivieren – also genau den Teil deines Nervensystems, der für Ruhe, Sicherheit und soziale Verbindung zuständig ist. Die Stimulation der Akupressurpunkte scheint dem Körper zu signalisieren: Du bist sicher. Dadurch können sich neue neuronale Verbindungen bilden – dein Körper lernt, auf bestimmte Reize nicht mehr so extrem zu reagieren.

Die Forschung zeigt eindrucksvolle Ergebnisse:
EFT senkt messbar Stress: In einer aktuelleren Studie von Peta Stapleton und Kollegen (2020) wurde untersucht, wie sich eine einzige EFT-Sitzung auf den Cortisolspiegel – also unser Hauptstresshormon – auswirkt. Das Ergebnis: Der Cortisolspiegel sank bei den Teilnehmern der EFT-Gruppe um beeindruckende 43 %. Zum Vergleich: In der Gruppe, die lediglich ein Gespräch führte (Psychoedukation), lag die Reduktion bei rund 20 %, und in der Kontrollgruppe ohne Behandlung änderte sich der Cortisolwert praktisch gar nicht (rund 2 %).
Interessanterweise berichteten die Teilnehmenden der EFT-Gruppe subjektiv zunächst kaum Veränderungen ihres Stressempfindens – obwohl der Körper bereits deutlich reagierte. Das zeigt, dass Stressabbau oft auf körperlicher Ebene beginnt, bevor wir ihn bewusst wahrnehmen.
EFT hilft bei Traumafolgen ähnlich wie EMDR: Vielleicht hast du schon von EMDR gehört – einer anerkannten Methode zur Traumabearbeitung. In einer direkten Vergleichsstudie (Karatzias et al., 2011) wurden Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung entweder mit EMDR oder mit EFT behandelt. Das überraschende Ergebnis: Beide Methoden führten zu ähnlich guten Verbesserungen. Die Teilnehmer brauchten gleich viele Sitzungen und zeigten ähnliche Fortschritte.

EFT wirkt schnell: In einer Studie mit Kriegsveteranen (Church et al., 2013) erfüllten nach nur 6 EFT-Sitzungen 90% der Teilnehmer nicht mehr die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung. In der Kontrollgruppe, die auf Behandlung wartete, waren es nur 4%.
Die genauen Wirkmechanismen von EFT sind noch nicht vollständig geklärt. Forscher vermuten, dass die Stimulation der Akupressurpunkte den ventralen Vagusnerv aktiviert und so das Nervensystem beruhigt. Was wir sicher wissen: EFT lindert nachweislich emotionale Belastung – und das oft schneller als viele andere Methoden.

EFT ist kein Wundermittel – aber ein wertvolles Werkzeug
Ich möchte eines klarstellen: EFT ersetzt keine Psychotherapie. Es ist ein tolles Selbsthilfetool, das begleitend eingesetzt werden kann. Bei schweren Traumata oder komplexen psychischen Belastungen braucht es professionelle therapeutische Begleitung.

Aber EFT kann ein wertvoller Teil deines Weges sein. Es kann dir helfen, in Momenten der inneren Unruhe wieder runterzukommen. Es kann deinem Körper zeigen: Ich bin jetzt sicher. Es kann dich unterstützen, wenn du merkst, dass Gesprächstherapie allein nicht ausreicht.
In meiner Arbeit mit Klientinnen sehe ich immer wieder, wie schnell EFT wirkt. Menschen, die seit Monaten nicht mehr durchschlafen können, schlafen plötzlich besser. Menschen, die ständig angespannt waren, spüren Entspannung. Menschen, die sich leer fühlten, finden langsam wieder Zugang zu sich selbst.


Eine meiner Klientinnen sagte mir: "Wenn ich viel geweint habe und dann diese Klopfübungen mache, merke ich, dass mein Nervensystem runtergeht. Es ist wie ein Reset-Knopf."
Manchmal ist es ein sanftes Klopfen auf deiner Haut, das deinem Körper sagt: Du darfst jetzt loslassen. Du bist sicher.